Biografie
Seine markant-kantigen Gesichtszüge, der verhalten-skeptische Blick aus den oft traurig wirkenden Augen ist Kinogängern und Fernsehzuschauern vertraut. Er war neben Vittorio Gassman und Marcello Mastroianni einer der ganz großen Bühnenstars Italiens und spielte in Neapel, Triest, Verona und Mailand. Volonté galt als bescheidener und scheuer Schauspieler. Der Presse gegenüber äußerte er sich selten und wenn, dann nur über Projekte, die ihm am Herzen lagen. Das führte dazu, dass man von dem Menschen und Künstler Volonté oft die widersprüchlichsten Charakterisierungen liest, und nicht selten haben es Chronisten vorgezogen, sich mit ihm überhaupt nicht näher auseinander zu setzen.
Gian Maria Volonté ging nach der Ausbildung an der "Accademia Nazionale di Arti Drammatica" in Rom ans Theater und zählte in kürzester Zeit zu den talentiertesten Schauspielern Italiens. Durch eine TV-Inszenierung von Dostojewskis "Der Idiot", in der er den Fürsten Myschkin spielte, wurdr man 1959 auf ihn aufmerksam; 1960 hatte er einen Riesenerfolg als Romeo. Zum Film kam er 1960. Unter der Regie von Duccio Coletti spieltr er in "Unter zehn Flaggen" an der Seite von Van Heflin und Charles Laughton. Im gleichen Jahr entstand Valerio Zurlinis "Das Mädchen mit dem leichten Gepäck", worin Claudia Cardinale eine ihrer ersten großen Rollen spielte. Und als Vittorio Cottafavi, einer der Kultregisseure des italienischen Trivialfilms, "Herkules erobert Atlantis" (1961) drehte, war Volonté mit dabei.
Er drehte mit Nanni Loy den Politthriller "Die vier Tage von Neapel" (1962) und mit den Taviani-Brüdern "Gebrandmarkt" (1963). Als zynischer, unbarmherziger Bandit stand er in den "Dollar"-Western ("Für eine Handvoll Dollar", Für ein paar Dollar mehr") von Sergio Leone neben Clint Eastwood und Lee Van Cleef in vorderster Reihe. In solchen Rollen sah man ihn jetzt häufig, seine Popularität wuchs. Volonté liebte es, in die verschiedensten Rollen zu schlüpfen, und immer hatte er Vergnügen am Trivialen wie am Komödiantischen. Er spielt in Mario Monicellis Ritterfilm "Die unglaublichen Abenteuer des hochwohllöblichen Ritters Branca Leone" (1965) ebenso lustvoll den verdorben wollüstigen Teofilatto wie einen der Protagonisten in dem Banditendrama "Feuertanz" (1966) von Carlo Lizzani.
Seine Freundschaft mit Regisseuren wie Damiano Damiani, Elio Petri und Francesco Rosi und ihr gemeinsames linksgerichtetes politisches Engagement bestimmten auch die Rollen Volontés. Er war der mexikanische Revolutionär in Damiano Damianis "Töte, Amigo!" (1966), in Elio Petris zynischem Mafia-Drama "Zwei Särge auf Bestellung" (1966) ein reformfreudiger Gymnasialprofessor, der in einem kleinen sizilianischen Ort vergeblich versucht, die Machenschaften der Mafia ans Licht zu bringen. Ebenfalls bei Petri spielte er einen krankhaft veranlagten Ermittler in dem mit dem Oscar ausgezeichneten Drama "Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger", einen Arbeiter in "Der Weg der Arbeiterklasse ins Paradies" (1971), und neben Marcello Mastroianni den korrupten Politiker M in "Todo modo" (1976). Zu den sozialpolitisch wichtigen Filmen gehören auch Francesco Rosis "Lucky Luciano" (1974), "Christus kam nur bis Eboli" (1979), Giuliano Montaldos "Sacco und Vancetti" (1971) und "Giordano Bruno" (1973).
1983 erhielt Volonté für die Titelrolle in Claude Gorettas "Der Tod des Mario Ricci" den Cannes-Darstellerpreis. Er drehte mit Jean-Luc Godard und André Delveaux und noch einmal bei Francesco Rosi in "Chronik eines angekündigten Todes" (1987) nach Gabriel Garcia Marquez. Er erschien als Reform freundlicher Pädagoge in Peter van Guntens "Pestalozzis Berg" (1989) und drehte am Ende seines Lebens noch zwei bedeutsame Filme, die aus verschiedenen Perspektiven die Probleme der italienischen Mafia beleuchten: Gianni Amelios "Offene Türen" (1990) und Emidio Grecos "Ein einfacher Fall" (1991). Volonté starb unerwartet bei den Dreharbeiten zu Theo Angelopoulos' "Der Blick des Odysseus" (1994). Die Rolle übernahm Harvey Keitel.
Weitere Filme mit Gian-Maria Volonté: "Vergewaltigt in Ketten" , "Die Herrin von Atlantis" (beide 1961), "Un Uomo da bruciare", "Noche de verano" (beide 1962), "Il Terrorista" (1963), "Der große Hahnrei" (1964), "Le Stagioni del nostro amore" (1965), "Het gangstermeisje", "La Strega in amore", "Töte Amigo" (alle 1966), "Trau keinem über 30", "Von Angesicht zu Angesicht", "I Sette fratelli Cervi" (alle 1967), "Summit", "Die Banditen von Mailand", "L'Amante di Gramigna" (alle 1968), "Ostwind", "Sotto il segno dello scorpione" (beide 1969), "Bataillon der Verlorenen", "Vier im roten Kreis" (beide 1970), "Die Tödliche Falle" (1972), "Tödliche Schlagzeilen" (1973), "Il Sospetto", "Actas de Marusia" (beide 1975), "Ich habe Angst" (1977), "Ogro" (1979), "Stark System (auch Buch und Story), "Die Kameliendame" (beide 1980), "Die Kartause von Parma", "Greystoke - Die Legende von Tarzan" (1983), "Revolution" (1985), "Die Affäre Aldo Moro" (1986), "Der Junge aus Kalabrien" (1987), "L'Oeuvre au noir" (1988), "Tre colonne in cronaca" (1990), "Tirano Banderas" und "Funes, un gran amor" (beide 1993).
Gian Maria Volonté während der Dreharbeiten zu "Pestalozzis Berg" - Interview in Babelsberg 1987
Sie haben sich sehr intensiv auf die Rolle des Pestalozzi vorbereitet und gehen allem aus dem Weg was Sie ablenken könnte. Hat diese Rolle für Sie einen besonderen Stellenwert?
Volonté: Ich habe im Lauf meiner Karriere viele Rollen gespielt, die eine gewisse Vorbereitungszeit und ganz besonders starke Konzentration während der Dreharbeiten erforderten. Etwa die Rolle des Arztes, Malers und Schriftstellers Carlo Levi in "Eboli" von Francesco Rosi oder den "Mario Ricci" bei Claude Goretta, den Vanzetti in Giuliano Montaldos "Sacco und Vanzetti". Das waren Charaktere, mit denen ich mich sehr stark auseinandergesetzt habe. Das verlangt mehr, als nur einen Typ in einem Krimi "abzuliefern".
Zu Beginn Ihrer Filmkarriere, Anfang der 60er Jahre, haben Sie in einer ganzen Reihe von Trivialfilmen wie Historienschinken, Western und Abenteuergeschichten gespielt. Betrachtet man ihre Filmografie, so werden diese Filme immer seltener, die Charakterrollen nehmen zu.
Volonté: Ja , das ist ganz natürlich. Es hat mir damals Spaß gemacht, in "Herkules erobert Rom" oder in Sergio Leones "Für eine Handvoll Dollar" und "Für eine paar Dollar mehr" zu spielen. Aber seit ich dann mit Elio Petri, den Taviani-Brüdern, Damiano Damiani und Francesco Rosi in auch politisch und zeitgeschichtlich bedeutenden Filmen spielte, sind auch immer viele reizvolle Angebote gekommen. Da ich mich bemühe, mit meinen Kräften sorgsam umzugehen und ich andererseits viele gute Angebote bekomme, nehmen die schwierigen Rollen überhand. Und sie sind letztlich auch ergiebiger und befriedigender.
Zurück zu Pestalozzi: Was hat den Ausschlag gegeben, daß Sie diese Rolle angenommen haben?
Volonté: Nun, es war mir eine vertraute Person. Auch von der Herkunft her, denn Pestalozzis Familie stammt aus meinem Heimatland. Was an Pestalozzi so fasziniert, ist die Tatsache, dass er ein Mensch war, der Spuren hinterließ, obwohl seine Bedeutung, seine wichtigen Erkenntnisse kaum wahrgenommen wurden, geschweige denn Anerkennung fanden. Eine solche Person war für mich schon eine besondere Herausforderung, zumal es im Film sehr um das Innenleben geht: Es läuft sehr viel mehr in der Person als um sie herum ab, Und dann macht es natürlich Spaß fast nur mit Kindern zu arbeiten.
Ist diese Arbeit mit den Kindern nicht schwierig? Haben Sie denn überhaupt die Geduld, über so lange Zeit auszuhalten und sich immer wieder zu konzentrieren?
Volonté: Das ist so erstaunlich bei den Kindern, bei den kleinen wie den großen: Sie sind so schnell zu motivieren, denken genau mit, konzentrieren sich. Und sie bringen so viel Leben in das Ganze. Kinder sind unglaublich intelligent, ihre geistigen Fähigkeiten sind noch unverbraucht, "roh" sozusagen, und dennoch haben sie einen genauen Instinkt dafür, was richtig und was falsch ist. Außerdem lernen sie unglaublich schnell, nicht nur die Texte, sondern auch das, was ihnen gesagt wird, in die Tat umzusetzen.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder nach einer gewissen Zeit der Konzentration nicht mehr mitspielen, sich sperren und dann sehr schwer noch einmal zu motivieren sind.
Volonté: Das liegt dann aber an Ihnen selbst. Natürlich muß man Kinder genau motivieren, muß ihnen genau erklären, was los ist, wie lange etwas dauert, was sie machen müssen und wann sie tun dürfen, was sie wollen. Es braucht da schon eine psychologische Einfühlung - und vielleicht einen Sinn für Kinder überhaupt. Ich habe immer wieder erlebt, daß Leute, die mit Kindern arbeiten können, unglaublich viel aus ihnen herausholen. Bei diesen Dreharbeiten geht das besonders gut, denn Regisseur Peter von Gunten hat da eine unglaubliche Ruhe und Geduld. Und ich bin, glaube ich, auch ein guter Partner.
Bei den Dreharbeiten hier fällt auf, daß Sie sich immer gleich zurückziehen. Sie erscheinen nur, wenn Sie gerade "dran" sind. Warum das?
Volonté: Wie schon gesagt, die Rolle erfordert eine hohe Konzentration, und ich will mich da nicht ablenken lassen.
Wenn Sie drehen, wirkt alles so selbstverständlich: Sie scheinen genau zu wissen, was von Gunten will. Doch während des Drehens sprechen Sie kaum zusammen. Besprechen Sie das jeweils vorher, oder wie läuft das?
Volonté: Ich habe mich vor Drehbeginn intensiv mit der Figur auseinandergesetzt. Ich glaube, ich weiß heute ebensoviel über Pestalozzi wie der Regisseur und Drehbuchautor. Wir haben, bevor die Dreharbeiten begannen, alles sehr ausführlich durchgesprochen. Und das ist wohl auch ein Glücksfall - aber solche Glücksfälle sind bei mir Voraussetzung für eine intensive und erfolgreiche Rollengestaltung, daß wir uns ohne viele Worte verstehen, dass Blicke, Gesten ausreichen. Das macht dann manchmal den Eindruck, wir würden nicht miteinander kommunizieren. Dieser Eindruck ist aber falsch.
Wie würden Sie "Pestalozzis Berg" innerhalb Ihrer Karriere einordnen?
Volonté: Nun, es ist sicher eine meiner wichtigsten Filmarbeiten.